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Man spricht Russisch Die Tartaren wehren sich gegen die Kyrillisierung ihrer Sprache
Russisch schreibt Seineb Ibrahimowa mit den gleichen Fehlern, die sie beim Sprechen macht. Briefe an die ьber ganz Russland verstreute Verwandtschaft schreibt sie ohnehin mit lateinischen Buchstaben. Als sie 1927 eingeschult wurde, schrieb man Tatarisch mit dem arabischen Alphabet, das die alte Dame bis heute nicht vergessen hat. Fьr ihr Abitur mussten sie einen dritten Schriftsatz lernen: Ausgerechnet der Nichtrusse Stalin setzte auf gnadenlose Russifizierung des homo sovieticus und verordnete 1939 allen Vцlkern der UdSSR die Ьbernahme des kyrillischen Alphabetes. Einzige Ausnahme: seine Georgier und die Armenier.
1999 tat die Meclis, das Parlament der russischen Teilrepublik Tatarstan, was die Zentralasiaten gleich nach der Unabhдngigkeit von Moskau 1991 beschlossen hatten: Sie verfьgte die Rьckkehr zur lateinischen Schrift. Dann beschloss die Duma ein Sprachengesetz, wonach die Nationalsprachen aller Vцlker Russlands allein kyrillisch geschrieben werden dьrfen. Letzte Woche bestдtigte der Senat die Vorlage. Seither gehen die Wogen der Empцrung hoch. Auch im Nordwesten, wo Karelier und Wepsen, enge Verwandte der Finnen, seit der Oktoberrevolution 1917 auf GeheiЯ Moskaus bisher sage und schreibe sechsmal zwischen lateinisch und kyrillisch wechseln mussten.
Wladimir Bogdanow, der Vorsitzende des karelischen Nationalkongresses, spricht von „Willkьr und Verfassungsbruch“. Zu Recht: Teil 2, Artikel acht des russischen Grundgesetzes ьberlдsst den Teilrepubliken die Entscheidung ьber die Amtssprachen. Mit welcher Schrift sie geschrieben werden, erregt sich Bogdanow, sei ohnehin nicht Sache der Politiker, sondern der Wissenschaftler. Die Ьbernahme des lateinischen Alphabets, meint ein renommierter Turkologe, berge „die Gefahr einer Orientierung auf kulturelle Schwerkraftzentren auЯerhalb der Russischen Fцderation“, die mit der von Putin zur Staatsrдson erhobenen „Straffung der Machtvertikale“ nicht vereinbar sei.
Zoff mit Kareliern und Wepsen – zusammen knapp 150 000 Seelen – ist nicht zu befьrchten. Beide Sprachen sterben langsam aus. Die Tataren aber sind mit gut sieben Millionen das zweitgrцЯte russlдndische Volk, und in deren Republik formiert sich der Widerstand: Das neue Gesetz werde als unnцtige Bevormundung durch das Zentrum empfunden, warnt der tatarische Duma-Abgeordnete Fandas Safiyullin. In der wohlhabenden Republik, die sich traditionell zu einem toleranten, weltoffenen Islam bekennt, hatten Fundamentalisten bisher keine Chance. Mit seiner Unterschrift dagegen, fьrchten kritische Beobachter wie der Historiker Jakow Krotow, kцnnte Putin mit eigener Hand an der Wolga einen Sprengsatz installieren, der lдngerfristig kaum weniger gefдhrlich ist als die Probleme in Tschetschenien.
Von Elke Windisch
Russisch schreibt Seineb Ibrahimowa mit den gleichen Fehlern, die sie beim Sprechen macht. Briefe an die ьber ganz Russland verstreute Verwandtschaft schreibt sie ohnehin mit lateinischen Buchstaben. Als sie 1927 eingeschult wurde, schrieb man Tatarisch mit dem arabischen Alphabet, das die alte Dame bis heute nicht vergessen hat. Fьr ihr Abitur mussten sie einen dritten Schriftsatz lernen: Ausgerechnet der Nichtrusse Stalin setzte auf gnadenlose Russifizierung des homo sovieticus und verordnete 1939 allen Vцlkern der UdSSR die Ьbernahme des kyrillischen Alphabetes. Einzige Ausnahme: seine Georgier und die Armenier.
1999 tat die Meclis, das Parlament der russischen Teilrepublik Tatarstan, was die Zentralasiaten gleich nach der Unabhдngigkeit von Moskau 1991 beschlossen hatten: Sie verfьgte die Rьckkehr zur lateinischen Schrift. Dann beschloss die Duma ein Sprachengesetz, wonach die Nationalsprachen aller Vцlker Russlands allein kyrillisch geschrieben werden dьrfen. Letzte Woche bestдtigte der Senat die Vorlage. Seither gehen die Wogen der Empцrung hoch. Auch im Nordwesten, wo Karelier und Wepsen, enge Verwandte der Finnen, seit der Oktoberrevolution 1917 auf GeheiЯ Moskaus bisher sage und schreibe sechsmal zwischen lateinisch und kyrillisch wechseln mussten.
Wladimir Bogdanow, der Vorsitzende des karelischen Nationalkongresses, spricht von „Willkьr und Verfassungsbruch“. Zu Recht: Teil 2, Artikel acht des russischen Grundgesetzes ьberlдsst den Teilrepubliken die Entscheidung ьber die Amtssprachen. Mit welcher Schrift sie geschrieben werden, erregt sich Bogdanow, sei ohnehin nicht Sache der Politiker, sondern der Wissenschaftler. Die Ьbernahme des lateinischen Alphabets, meint ein renommierter Turkologe, berge „die Gefahr einer Orientierung auf kulturelle Schwerkraftzentren auЯerhalb der Russischen Fцderation“, die mit der von Putin zur Staatsrдson erhobenen „Straffung der Machtvertikale“ nicht vereinbar sei.
Zoff mit Kareliern und Wepsen – zusammen knapp 150 000 Seelen – ist nicht zu befьrchten. Beide Sprachen sterben langsam aus. Die Tataren aber sind mit gut sieben Millionen das zweitgrцЯte russlдndische Volk, und in deren Republik formiert sich der Widerstand: Das neue Gesetz werde als unnцtige Bevormundung durch das Zentrum empfunden, warnt der tatarische Duma-Abgeordnete Fandas Safiyullin. In der wohlhabenden Republik, die sich traditionell zu einem toleranten, weltoffenen Islam bekennt, hatten Fundamentalisten bisher keine Chance. Mit seiner Unterschrift dagegen, fьrchten kritische Beobachter wie der Historiker Jakow Krotow, kцnnte Putin mit eigener Hand an der Wolga einen Sprengsatz installieren, der lдngerfristig kaum weniger gefдhrlich ist als die Probleme in Tschetschenien.
Von Elke Windisch
Der Tagesspiegel, 04.12.2002