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1000 Jahre Kasan – Modellstadt an der Wolga
Karsten Packeiser, Kasan. Die Wolga-Stadt Kasan ist zum Sinnbild einer friedlichen Koexistenz von Islam und Christentum geworden. Ernste Konflikte zwischen den Religionen gab es hier schon lange nicht mehr.
Die Hauptstadt der autonomen russischen Teilrepublik Tatarstan, die im Sommer mit groЯem Pomp ihren 1000. Geburtstag feiert, ist heute ein Schmelztiegel der Vцlker und Religionen. Vor einer orthodoxen Kirche von Kasan verkaufen Souvenirhдndler islamische Gebetskettchen und Bilder mit aufgemalten Koran-Suren. Frauen mit zьchtigem Kopftuch spazieren neben Mдdchen mit Bierflaschen und grellblond gefдrbten Haaren die neue FuЯgдngerzone entlang.
Mindestens ein wenig anderes Blut in den Adern
Muslime und Christen machen jeweils fast die Hдlfte der Kasaner Bevцlkerung aus. Anders als auf dem Balkan oder im Kaukasus gab es aber in der Wolga-Stadt seit vielen Generationen keine nennenswerten religiцsen oder ethnischen Konflikte mehr. Gemischte russisch-tatarische Ehen gehцren lдngst zum Alltag. “Es gibt hier wohl niemanden mehr, in dessen Adern nicht zumindest ein wenig Blut der jeweils anderen Nationalitдt flieЯt”, meint Alexander Pawlow vom orthodoxen Bistum Kasan.
Vom eingerьsteten Gebдude der Stadtverwaltung aus regiert Bьrgermeister Kamil Ischakow derzeit weniger eine Millionenstadt, als vielmehr eine riesige Baustelle. In dem 800 Kilometer цstlich von Moskau gelegenen Kasan sind kurz vor der 1000-Jahr-Feier zumindest in der Innenstadt ьberall Presslufthдmmer oder quietschende Bagger zu hцren. Ganze historische StraЯenzьge werden abgerissen und neu aufgebaut.
Wir gehen einen europдischen Weg
„Zu Zeiten des Tataren-Khanats gab es im Kreml von Kasan nur Moscheen, nach der Eroberung der Stadt durch die Soldaten Iwans des Schrecklichen nur noch Kirchen“, sagt Ischakow. Inzwischen ragen orthodoxe Kreuze auf den Kirchenkuppeln neben goldenen Halbmonden in den Abendhimmel. Die nach mittelalterlichem Vorbild neu aufgebaute Moschee “Kul Scharif” mit ihren vier schlanken Minaretten ist das neue Wahrzeichen der tatarischen Hauptstadt. Die Stadtregierung gebe sich alle Mьhe, um heute beide Konfessionen gleich zu behandeln, so der Bьrgermeister.
„Wir gehen hier einen europдischen Weg“, sagt auch Waliulla Jakupow, der stellvertretende Mufti von Kasan und Tatarstan. Der Islam an der Wolga unterscheide sich von jeher deutlich von der Religionsausьbung in Lдndern wie Saudi-Arabien, „wo man nicht einmal eine Bibel ьber die Grenze bringen darf“. Tatarische Frauen hдtten sich nie verschleiert und seien immer genau so gebildet gewesen wie die Mдnner. Weil die Tataren seit Jahrhunderten als Minderheit in Russland leben, sei Toleranz gegenьber dem Christentum fьr sie selbstverstдndlich.
Auslдndische Gesandte zьndeln am religiцsen Frieden
Die untereinander zerstrittenen russischen Muslim-Organisationen werfen sich freilich seit Jahren gegenseitig vor, klammheimlich die in Russland als „Wahhabiten“ bezeichneten Fundamentalisten zu unterstьtzen. Auch Jakupow, der zweithцchste islamische Wьrdentrдger der Wolgarepublik, leugnet nicht, dass radikale Scharfmacher daran arbeiten, den konfessionellen Frieden in Tatarstan zu stцren.
Den zumeist auslдndischen Emissдren, die mit viel Geld versuchen wьrden, die muslimischen Gemeinden Kasans zu unterwandern und auf einen fundamentalistischen Kurs einzuschwцren, sagt er den Kampf an: „Wir wollen nicht, dass unsere Jugend vergiftet wird.“
Bislang verhallen die Parolen der islamistischen Eiferer zumeist noch ungehцrt in der alten Universitдtsstadt, in der schon Leo Tolstoi und spдter Wladimir Lenin studierten. Auch die tatarischen Nationalisten, die Anfang der 1990-er Jahre mit Massendemos die vцllige Unabhдngigkeit von Russland forderten, hatten sich nicht durchsetzen kцnnen. Die Fьhrung der ganz von russischem Staatsgebiet umgebenen Teilrepublik begnьgte sich damals pragmatisch mit weitreichenden Autonomierechten.
Der Papst wollte nach Kasan
Von der traditionellen Kasaner Toleranz profitieren nicht nur Muslime und Christen: Jьdische Familien aus der ganzen UdSSR schickten in der Hochphase des sowjetischen Antisemitismus ihre Kinder zum Studium nach Kasan, als in Moskau und anderswo keine Studenten mit jьdischen Nachnamen mehr immatrikuliert wurden. Und beinahe hдtte sogar Papst Johannes Paul II. die von ihm so sehr gewьnschte Russland-Reise angetreten - und wenn auch nicht Moskau, so doch zumindest Kasan besucht.
Planungen sahen vor, dass das Papst-Flugzeug auf dem Rьckweg aus der Mongolei zum Auftanken an der Wolga zwischenlanden sollte. Dort hдtte Johannes Paul die von Orthodoxen wie Katholiken verehrte Ikone der Madonna von Kasan, die jahrelang in seinen Privatgemдchern hing, dann an die russische Kirche zurьckgeben wollen. Die Papst-Visite an der Wolga scheiterte. Nicht ohne tatkrдftige Mithilfe der muslimischen Politiker-Elite Tatarstans schenkte der Vatikan die Ikone dennoch – und Kasan kцnnte schon bald auЯer dem Zentrum des russischen Islam auch wieder eine der heiligsten Stдdte der Orthodoxie werden.
Karsten Packeiser, Kasan. Die Wolga-Stadt Kasan ist zum Sinnbild einer friedlichen Koexistenz von Islam und Christentum geworden. Ernste Konflikte zwischen den Religionen gab es hier schon lange nicht mehr.
Die Hauptstadt der autonomen russischen Teilrepublik Tatarstan, die im Sommer mit groЯem Pomp ihren 1000. Geburtstag feiert, ist heute ein Schmelztiegel der Vцlker und Religionen. Vor einer orthodoxen Kirche von Kasan verkaufen Souvenirhдndler islamische Gebetskettchen und Bilder mit aufgemalten Koran-Suren. Frauen mit zьchtigem Kopftuch spazieren neben Mдdchen mit Bierflaschen und grellblond gefдrbten Haaren die neue FuЯgдngerzone entlang.
Mindestens ein wenig anderes Blut in den Adern
Muslime und Christen machen jeweils fast die Hдlfte der Kasaner Bevцlkerung aus. Anders als auf dem Balkan oder im Kaukasus gab es aber in der Wolga-Stadt seit vielen Generationen keine nennenswerten religiцsen oder ethnischen Konflikte mehr. Gemischte russisch-tatarische Ehen gehцren lдngst zum Alltag. “Es gibt hier wohl niemanden mehr, in dessen Adern nicht zumindest ein wenig Blut der jeweils anderen Nationalitдt flieЯt”, meint Alexander Pawlow vom orthodoxen Bistum Kasan.
Vom eingerьsteten Gebдude der Stadtverwaltung aus regiert Bьrgermeister Kamil Ischakow derzeit weniger eine Millionenstadt, als vielmehr eine riesige Baustelle. In dem 800 Kilometer цstlich von Moskau gelegenen Kasan sind kurz vor der 1000-Jahr-Feier zumindest in der Innenstadt ьberall Presslufthдmmer oder quietschende Bagger zu hцren. Ganze historische StraЯenzьge werden abgerissen und neu aufgebaut.
Wir gehen einen europдischen Weg
„Zu Zeiten des Tataren-Khanats gab es im Kreml von Kasan nur Moscheen, nach der Eroberung der Stadt durch die Soldaten Iwans des Schrecklichen nur noch Kirchen“, sagt Ischakow. Inzwischen ragen orthodoxe Kreuze auf den Kirchenkuppeln neben goldenen Halbmonden in den Abendhimmel. Die nach mittelalterlichem Vorbild neu aufgebaute Moschee “Kul Scharif” mit ihren vier schlanken Minaretten ist das neue Wahrzeichen der tatarischen Hauptstadt. Die Stadtregierung gebe sich alle Mьhe, um heute beide Konfessionen gleich zu behandeln, so der Bьrgermeister.
„Wir gehen hier einen europдischen Weg“, sagt auch Waliulla Jakupow, der stellvertretende Mufti von Kasan und Tatarstan. Der Islam an der Wolga unterscheide sich von jeher deutlich von der Religionsausьbung in Lдndern wie Saudi-Arabien, „wo man nicht einmal eine Bibel ьber die Grenze bringen darf“. Tatarische Frauen hдtten sich nie verschleiert und seien immer genau so gebildet gewesen wie die Mдnner. Weil die Tataren seit Jahrhunderten als Minderheit in Russland leben, sei Toleranz gegenьber dem Christentum fьr sie selbstverstдndlich.
Auslдndische Gesandte zьndeln am religiцsen Frieden
Die untereinander zerstrittenen russischen Muslim-Organisationen werfen sich freilich seit Jahren gegenseitig vor, klammheimlich die in Russland als „Wahhabiten“ bezeichneten Fundamentalisten zu unterstьtzen. Auch Jakupow, der zweithцchste islamische Wьrdentrдger der Wolgarepublik, leugnet nicht, dass radikale Scharfmacher daran arbeiten, den konfessionellen Frieden in Tatarstan zu stцren.
Den zumeist auslдndischen Emissдren, die mit viel Geld versuchen wьrden, die muslimischen Gemeinden Kasans zu unterwandern und auf einen fundamentalistischen Kurs einzuschwцren, sagt er den Kampf an: „Wir wollen nicht, dass unsere Jugend vergiftet wird.“
Bislang verhallen die Parolen der islamistischen Eiferer zumeist noch ungehцrt in der alten Universitдtsstadt, in der schon Leo Tolstoi und spдter Wladimir Lenin studierten. Auch die tatarischen Nationalisten, die Anfang der 1990-er Jahre mit Massendemos die vцllige Unabhдngigkeit von Russland forderten, hatten sich nicht durchsetzen kцnnen. Die Fьhrung der ganz von russischem Staatsgebiet umgebenen Teilrepublik begnьgte sich damals pragmatisch mit weitreichenden Autonomierechten.
Der Papst wollte nach Kasan
Von der traditionellen Kasaner Toleranz profitieren nicht nur Muslime und Christen: Jьdische Familien aus der ganzen UdSSR schickten in der Hochphase des sowjetischen Antisemitismus ihre Kinder zum Studium nach Kasan, als in Moskau und anderswo keine Studenten mit jьdischen Nachnamen mehr immatrikuliert wurden. Und beinahe hдtte sogar Papst Johannes Paul II. die von ihm so sehr gewьnschte Russland-Reise angetreten - und wenn auch nicht Moskau, so doch zumindest Kasan besucht.
Planungen sahen vor, dass das Papst-Flugzeug auf dem Rьckweg aus der Mongolei zum Auftanken an der Wolga zwischenlanden sollte. Dort hдtte Johannes Paul die von Orthodoxen wie Katholiken verehrte Ikone der Madonna von Kasan, die jahrelang in seinen Privatgemдchern hing, dann an die russische Kirche zurьckgeben wollen. Die Papst-Visite an der Wolga scheiterte. Nicht ohne tatkrдftige Mithilfe der muslimischen Politiker-Elite Tatarstans schenkte der Vatikan die Ikone dennoch – und Kasan kцnnte schon bald auЯer dem Zentrum des russischen Islam auch wieder eine der heiligsten Stдdte der Orthodoxie werden.
Actuell.ru, 23.06.2005